Wie es ist, eine europäische Trauerkonferenz zu organisieren
Interview mit Heidi Müller
Seit 2022 gibt es einen Zusammenschluss von ForscherInnen und PraktikerInnen rund um das Thema Verlust und Trauer auf europäischer Ebene: das Bereavement Network Europe (BNE). Das BNE hat sich zum Ziel gesetzt, den Austausch und die Verbreitung von Informationen, Innovationen und bewährten Verfahren über Trauer zu fördern und gemeinsam die Forschung über Auswirkungen von Verlusten sowie von wirksamen Unterstützungsmaßnahmen voranzubringen. Dabei sollen auch immer die kulturellen und nationalen Besonderheiten im Blick behalten werden.
Alles in allem sieht sich das BNE als Lobby für die Bedürfnisse von Trauernden und setzt sich dafür ein, dass sie in ganz Europa bedarfsorientierte Unterstützung erhalten.
Das erste große Projekt, das die BNE angestrebt hat, war die Etablierung einer europäischen Trauerkonferenz (European Grief Conference), die 2022 zum ersten Mal in Kopenhagen stattfand. Vom 11. bis zum 13. November diesen Jahres fand nun die zweite europäische Trauerkonferenz in Dublin statt.
Hier das Interview mit einer der Organisatorinnen:
Liebe Heidi, du bist nicht nur Vorsitzende des Bereavement Network Europe, sondern auch an der Vorbereitung und Durchführung beider Konferenzen maßgeblich beteiligt gewesen. Wie geht es dir zwei Wochen nach der Konferenz in Dublin?
Direkt nach der Konferenz war ich total erschöpft und habe erstmal zwei Tage am Stück geschlafen. Gleichzeitig bin ich nach so einer Koferenz aber auch energiegeladen und randvoll mit neuen Ideen. Es ist wunderbar, sich mit so vielen Menschen auszutauschen, die auch im Bereich der Trauerversorgung tätig sind. Ich finde das sehr bereichernd. Eine internationale Konferenz zu organisieren ist allerdings auch enorm viel Arbeit. Aber wir sind ein tolles Team, das konzentriert, vertrauensvoll und wertschätzend zusammenarbeitet. Das macht alles viel einfacher.
Was waren für dich dieses Mal die größten Herausforderungen?
Oh, ich weiss gar nicht! Die Organisation der ersten Trauerkonferenz war ein Kraftakt, weil wir alles von Grund auf erarbeiten mussten. Aber jetzt bei der zweiten Konferenz konnten wir schon auf bestehende, gut funktionierende Abläufe und technische Systeme zurückgreifen, das hat es einfacher gemacht. Auch haben die gastgebenden KollegInnen aus Irland vor Ort hervorragende Arbeit geleistet zum Beispiel bei der Auswahl des Veranstaltungsortes. Sie hatten am Ende den Löwenanteil der Arbeit zu bewältigen, für den Rest von uns war es entspannter.
Wie viele TeilnehmerInnen hatten sich angemeldet und aus welchen Ländern kamen sie?
Insgesamt hatte die Konferenz knapp 490 Teilnehmende. Meines Wissens kamen diese aus 39 Nationen, darunter KollegInnen aus Mexiko, Uganda, Bangladesch und Australien. Diese Vielfalt ist unglaublich bereichernd. Sie fordert beispielsweise eigene Überzeugungen und Annahmen heraus, ermöglicht das Kennenlernen neuer Perspektiven auf das Thema Trauer und wirkungsvolle Unterstützungsansätze.
Wie war das Interesse aus Deutschland im Hinblick auf eingereichte Papers und TeilnehmerInnen?
Das Interesse aus Deutschland war groß. Kein Wunder, denn wo sonst kann man sich mit Bezug auf die trauerspezifische Praxis, Forschung und nationalen Strategien in kürzester Zeit auf den aktuellsten Stand der Dinge bringen? Ich habe mich sehr darüber gefreut, dass die eingereichten Abstracts aus Deutschland in dem doppelt blinden Peer-Review-Verfahren so gut bewertet wurden, dass wir mit 7 Vorträgen vertreten waren. Nicht zu vergessen die vielen guten Poster. Besonders schön fand ich, dass viele Studierende aus Deutschland teilgenommen haben. Wenn die nachfolgenden Generationen voller Interesse für das Thema sind, freut mich das besonders. Denn wir schieben die Dinge ja auch nur für begrenzte Zeit an und wenn wir unsere Vorarbeit in fähige Hände übergeben können, dann ist das nicht nur für uns ein gutes Gefühl, sondern am Ende profitieren die Betroffenen davon. Denn um diese Personen geht es ja.
Kannst du sagen, ob eher ForscherInnen oder eher PraktikerInnen teilgenommen haben?
Ich finde es schwierig, so eine Trennung aufzumachen. Denn es gibt mittlerweile viele WissenschaftlerInnen, die auch in der trauerspezifischen Praxis tätig sind und umgekehrt. Wir fragen eher danach, welcher Berufsgruppe die Teilnehmenden angehören. Das ist für uns aussagekräftiger. Denn der Austausch unter den Berufsgruppen ist wichtig, um das gegenseitige Verstehen und Verständnis zu fördern. Ich bin mir aber sicher, dass es wie bei der ersten Konferenz 2022 ein bunter Mix aus Seelsorgenden, BestatterInnen, PsychologInnen, PsychotherapeutInnen, Ärzten und Ärztinnen, Sozialarbeitenden, Studierenden, ehrenamtlich Tätigen, LehrerInnen, Selbstständigen im Bereich Fortbildung und vielen anderen war.
Was habt ihr ausgehend von eurer Erfahrung mit der Konferenz in Kopenhagen dieses Mal anders gemacht?
Vieles ist geblieben, einiges haben wir anders gemacht. Zum Beispiel haben wir bewusst viel Raum und Zeit dafür eingeplant, dass die Teilnehmenden sich kennenlernen und austauschen konnten. Und es gab diesmal ein Speed-Networking-Event als Programmpunkt. Ein anderes Beispiel: wir haben bei der Themenauswahl noch bewusster darauf geachtet, der kulturellen Vielfalt gerecht zu werden und die besonderen Bedarfe verschiedener Gruppen zu berücksichtigen (z.B. Geflüchtete, Hinterbliebene nach einem Suizid). Das Interessante war tatsächlich, dass viele Teilnehmende, die 2022 in Kopenhagen dabei waren, uns zurückgemeldet haben, dass die Veränderungen nicht zu übersehen sind. Das war schön zu hören.
Was waren für dich die Highlights der Konferenz?
Oh je, es gab so viele Highlights, die ich nicht missen möchte. Darunter beispielsweise das Zusammensein mit den vielen tollen KollegInnen oder die großartigen Keynotes von Samar Aoun und Danai Papadatou. Aber DAS Highlight für mich war der Veranstaltungsort Croke Park. Eine Trauerkonferenz inmitten eines Stadions, in dem sonst Hurling und Football gespielt werden und in dem im Sommer Konzerte stattfinden. Trauer mitten im Leben. Das fand ich einzigartig. Und dann hat Croke Park ja auch noch diese besondere Geschichte mit dem Bloody Sunday im Jahr 1920. Es ist ein besonderer Ort. Ich wusste zunächst wenig darüber, habe mich aber eingelesen, weil ich unbedingt mehr darüber wissen wollte.
Was war für dich die schönste Rückmeldung, die ihr zur Konferenz bekommen habt?
Ich habe so viele entzückende und motivierende Rückmeldungen erhalten, da möchte ich nicht auswählen. Ich bin einfach dankbar für jede Rückmeldung, die wir erhalten haben. Beeindruckt hat mich allerdings, mit wie viel Begeisterung Ideen für die nächste Konferenz geteilt werden. Das Besondere ist, wir greifen diese Ideen ja auch auf. Es geht nichts verloren. Wir notieren alle Ideen, diskutieren darüber, was wir verändern können. Diese Konferenz ist wirklich ein Gemeinschaftsprojekt, das von viel mehr Menschen gestaltet wird als nur vom Organisationsteam.
Die nächste Konferenz wird 2026 in Portugal stattfinden. Habt ihr schon Pläne, was das Thema sein wird? Was werdet ihr dann anders machen als in Dublin?
Wir werden jetzt erst einmal die Rückmeldungen für 2024 sorgfältig auswerten. Dann schauen wir, was davon wir umsetzen können. Konferenzen sind Projekte, die sich stetig weiterentwickeln und verändern. Das müssen sie meines Erachtens auch, denn die Welt verändert sich mit jedem Tag und damit ergeben sich neue Themen, Herausforderungen und Möglichkeiten. Es ist wichtig diese aufzugreifen, denn es sind Faktoren, die das Erleben von Betroffenen beeinflussen. Ich bin mir sicher, auch die Konferenz in Porto im Jahr 2026 wird das Feld der Trauerversorgung wieder bereichern und die Trauerversorgung positiv beeinflussen.
Liebe Heidi, ich danke dir für deine Zeit und die Einblicke!
Das Interview führte Hildegard Willmann