Empfindungen von Glück am Lebensende
Bericht eines tödlich Erkrankten
Simon Boas hat über sein Leben mit Krebs geschrieben. Nun ist er am 15. Juli im Alter von 47 Jahren verstorben. In einem BBC-Interview sagte er: "Meine Schmerzen sind unter Kontrolle, und ich bin furchtbar glücklich - es klingt seltsam, das zu sagen, aber ich bin so glücklich wie nie zuvor in meinem Leben."
Mattias Tranberg, der Autor des hier wiedergegebenen Artikels, gibt zu, dass es seltsam erscheinen mag, wenn Menschen in der letzten Lebensphase sagen, dass sie glücklich sind. Doch als klinischer Psychologe erlebt er dies häufiger als viele Menschen denken.
Es gibt zahlreiche Forschungsergebnisse, die darauf hindeuten, dass die Angst Teil des menschlichen Daseins ist. Eine Studie zeigt jedoch, dass Menschen, die kurz vor dem Tod stehen, eine positivere Sicht auf die Dinge haben, als diejenigen, die sich den Tod nur vorstellen.
In dem BBC-Interview sagte Boas, was ihm half, seine Situation zu akzeptieren. Er wies darauf hin, wie wichtig es ist, das Leben zu genießen und sinnvollen Erfahrungen den Vorrang zu geben, und dass die Anerkennung des Todes unsere Wertschätzung für das Leben steigern kann. Trotz des Schmerzes und der Schwierigkeiten wirkte Boas fröhlich und hoffte, dass sich seine Einstellung positiv auf die seine Angehörigen auswirkt, wenn er tot ist.
Wie Glück und Sinn zusammenhängen
In zwei aktuelleren Studien wurden Menschen, die sich dem Tod nähern, gefragt, was für sie Glück bedeutet. Gemeinsame Themen in beiden Studien waren soziale Kontakte, das Genießen einfacher Freuden wie der Aufenthalt in der Natur, eine positive Einstellung und eine allgemeine Verlagerung des Schwerpunkts von der Suche nach Vergnügen auf die Suche nach Sinn und Erfüllung im Verlauf der Krankheit.
In meiner Arbeit als klinischer Psychologe treffe ich manchmal auf Menschen, die eine ähnliche Lebenseinstellung wie Boas haben - oder irgendwann dazu kommen. Ein Mensch kommt mir dabei besonders in den Sinn - nennen wir ihn Johan.
Als ich Johan das erste Mal traf, kam er allein in die Klinik, er hinkte ein wenig. Wir sprachen über das Leben, über Interessen, Beziehungen und Sinn. Johan wirkte klar und konnte sich gut ausdrücken.
Beim zweiten Mal kam er auf Krücken. Ein Fuß war nicht mehr voll funktionsfähig. Er sagte, es sei frustrierend, die Kontrolle über seinen Fuß zu verlieren, aber er hoffte immer noch, mit dem Rad um den Mont Blanc fahren zu können. Als ich ihn fragte, was seine Sorgen seien, brach er in Tränen aus. Er sagte: "Dass ich meinen Geburtstag nächsten Monat nicht feiern kann." Wir saßen eine Weile schweigend da und nahmen die Situation in uns auf. Es war nicht der Moment des Todes selbst, der ihn am meisten belastete, sondern all die Dinge, die er nicht mehr würde tun können.
Johan kam zu unserem dritten Treffen, gestützt von einem Freund, da er nicht mehr in der Lage war, die Krücken zu halten. Er erzählte mir, dass er sich Filme angesehen hatte, die ihn beim Radfahren mit seinen Freunden zeigten. Er war zu dem Schluss gekommen, dass er sich YouTube-Videos von anderen ansehen könnte, die um den Mont Blanc radeln. Er hatte sogar ein neues, teures Mountainbike bestellt. "Ich wollte es schon lange kaufen, war aber zu geizig", sagte er. "Ich werde es zwar nicht fahren können, aber ich dachte, es wäre cool, das Mountainbike im Wohnzimmer stehen zu haben."
Bei seinem vierten Besuch kam er im Rollstuhl. Es sollte das letzte Mal sein, dass wir uns trafen. Das Fahrrad war angekommen; er hatte es neben der Couch stehen. Es gab noch eine Sache, die er tun wollte.
"Wenn ich wie durch ein Wunder hier lebend herauskomme, würde ich gerne als Freiwilliger in der häuslichen Pflege arbeiten - ein oder zwei Schichten pro Woche", sagte Johan. "Sie arbeiten hart und manchmal ist es chaotisch, aber sie leisten einen unglaublichen Beitrag. Ohne sie wäre ich nicht in der Lage gewesen, aus der Wohnung zu kommen."
Die Erfahrung mit Patienten, die an einer lebensbedrohlichen Krankheit leiden, zeigt, dass es möglich ist, neben Traurigkeit auch Glück und andere scheinbar widersprüchliche Gefühle zu empfinden. Im Laufe eines Tages können Patienten Dankbarkeit, Reue, Sehnsucht, Wut, Schuldgefühle und Erleichterung empfinden - manchmal alles auf einmal. Die Konfrontation mit den Grenzen der Existenz kann eine neue Perspektive eröffnen und den Betroffenen helfen, das Leben mehr denn je zu schätzen.
Den Originalbeitrag finden Sie unter:
https://theconversation.com/why-are-some-people-happy-when-they-are-dying-234309