Resilienz - ein anderer Blick auf Verlustreaktionen

In unserem Kulturkreis wird oft davon ausgegangen, dass ein bedeutsamer Verlust regelmäßig zu intensivem Leiden führt und dass dieses Leiden über einen längeren Zeitraum hinweg unumgänglich und notwendig ist, um den Verlust zu verarbeiten. Vor diesem Hintergrund wird es häufig mit großem Misstrauen betrachtet, wenn jemand nach einem bedeutsamen Verlust Trauer in einer eher milden Form erlebt und im Alltag recht schnell wieder zu einem weitgehend normalen Leben zurückfindet. Menschen, die keine oder sehr milde Formen der Trauer zeigen, geraten schnell in den Verdacht, ihre Trauer zu verdrängen und ihnen wird unterstellt, dass sie eine problematische Abweichung von "normaler" Trauer entwickelt hätten.

Ende der 80er Jahre begannen Wissenschaftler damit, diese Annahmen zu hinterfragen. Und neuere Forschungsergebnisse belegen, dass ein relativ milder Verlauf von Trauer wesentlich häufiger vorkommt, als bislang angenommen wurde. So konnte der US-amerikanische Trauerforscher George Bonanno zeigen, dass fast die Hälfte (45,9 Prozent) der im Rahmen einer Studie befragten älteren Witwen und Witwer sowohl vor dem Verlust als auch bei den Befragungen sechs und 18 Monate danach nur über sehr geringe depressive Probleme und andere Trauerreaktionen berichteten. Ein solcher Verlauf ist jedoch entgegen früherer Annahmen selten als problematische Verarbeitung des Verlustes zu bewerten, sondern kann vielmehr dadurch erklärt werden, dass manche Menschen gegenüber Belastungen und Schicksalsschlägen widerstandsfähiger sind als andere. Hierfür hat sich der Begriff Resilienz eingeprägt. In der Trauerforschung wird darunter die Fähigkeit von Erwachsenen verstanden, angesichts von Verlusten und potenziell traumatischen Ereignissen ein relativ stabiles Muster gesunden psychischen und körperlichen Funktionierens aufrecht zu erhalten.

Resilienz bedeutet jedoch nicht, dass die Betroffenen überhaupt keine emotionale Erschütterung erfahren. Auch Hinterbliebene mit einem resilienten Verlauf berichten von Momenten intensiven Schmerzes, intensivster Sehnsucht nach dem Verstorbenen, von sich aufdrängenden Gedanken um den Verstorbenen oder die Todesumstände. Doch im Vergleich zu Betroffenen, die einen so genannten "normalen Trauerverlauf" aufweisen (d.h. längere Phase psychischer Belastung und graduelle Rückkehr zur stabilen Funktionsfähigkeit), gelingt es ihnen auch schon früh nach dem Verlust den Alltag normal zu bewältigen. Und sie haben schon kurz nach dem Verlust die Fähigkeit, aufbauende Erfahrungen zu machen (neue Aufgaben, neue Beziehungen) und positive Gefühle zu empfinden.