Trauer im Spannungsfeld von Krieg und Vertreibung

Wenn Menschen beispielsweise aus familiären oder beruflichen Gründen ihre Heimat verlassen, trennen sie sich von vielem, was ihnen lieb und vertraut ist. Manch einer leidet dann unter Heimweh, einem seelischen Schmerz, der von einigen Wissenschaftlern (zum Beispiel Margaret Stroebe) als Minitrauer beschrieben wird.

Wenn Menschen aus ihrer Heimat vertrieben werden, weil dort ihre Existenz durch Krieg, Terror, Hunger und Elend bedroht ist, sind sie zwangsläufig einer viel schlimmeren Kaskade an seelischen Belastungsfaktoren ausgesetzt. Das Leid beginnt mit jenen Bedrohungen, die der Entscheidung vorausgingen, die Flucht zu wagen (zum Beispiel politische Verfolgung, Zerstörung des Wohnortes durch Bomben, Hungersnot). Hinzu kommen die Bedrohungen, die der Fluchtweg mit sich bringt. Und wenn es gelungen ist, in einem sicheren Land Aufnahme zu finden, wird die seelische Belastbarkeit durch zwei große Themen weiterhin gefordert: zum einen die Anpassung an die neuen Lebensumstände - zum anderen die Verarbeitung der traumatischen Erlebnisse und Verluste.

Die Aktuelle EU-Aufnahmerichtlinie* verlangt, dass die besondere Schutzbedürftigkeit antragsstellender Asylbewerber zu erkennen ist. Dazu zählt auch das Diagnostizieren psychiatrischer Trauma-Folgestörungen. Diese Richtlinie gibt auch vor, dass insbesondere der Zugang zu einer adäquaten medizinischen und psychologischen Behandlung für Folteropfer und traumatisierte Flüchtlinge und Asylbewerber sichergestellt werden soll. Die Umsetzung der Richtlinie ist allerdings in der Realität durch viele Hindernisse erschwert (zum Beispiel werden Dolmetscherkosten vom deutschen Gesundheitssystem nicht übernommen).


Wo ist da Platz für Trauer?

Anlass für Trauer gibt es für jeden Asylbewerber, denn Flüchtlinge haben immer viel verloren: Menschen (durch die räumliche Trennung; durch deren - häufig gewaltsamen - Tod), Hab und Gut (Besitz, Ersparnisse, Erinnerungsstücke von besonderer Bedeutung) oder ihre bisherige Identität (sozialer Status, soziale Rolle, Kultur, Tradition).

Für Trauer- und Traumaexperten sind die Prioritäten für Menschen in existentieller Not eindeutig. Als erstes brauchen Flüchtlinge Sicherheit, Unterkunft, Essen und Trinken. Dann brauchen Erwachsene, Jugendliche und Kinder sinnvolle Beschäftigung, Spiel- und Lernmöglichkeiten, Ablenkungsmöglichkeiten, Momente der Freude. Erst dann können die vielfältigen Verluste bewusst werden und betrauert werden. Wobei häufig davon ausgegangen werden kann, dass die Auseinandersetzung mit Verlusten durch posttraumatische Belastungsreaktionen erschwert oder sogar verhindert wird.

Wichtig ist, dass Fachkräfte, die mit Flüchtlingen arbeiten, sich der Komplexität möglicher psychischen Belastungen bewusst sind und die vielfältigen Verluste und deren Auswirkungen nicht aus den Augen verlieren. Hierzu brauchen sie nicht nur ein Wissen um die Auswirkungen von traumatischem Stress, sondern auch interkulturelle Kompetenzen.