Psychologisierung von Trauer

Trauer als innerpsychischer Prozess?

Unser Verständnis von Trauer ist heutzutage sehr stark psychologisch ausgerichtet: Trauer wird meist als ein innerpsychischer Prozess der Verlustbewältigung beschrieben. Der Blick richtet sich also auf das Individuum, welches vor der Aufgabe steht, den Verlust zu verarbeiten. Familie, Freunde, soziale Bezüge kommen bei diesem Blick allenfalls vor dem Hintergrund vor, ob diese den innerpsychischen Verarbeitungsprozess behindern oder fördern.

Ein psychologischer Blick hat durchaus seine Berechtigung und die moderne Trauerforschung, als immer noch weitgehend von den "Psych-Disziplinen" beherrschtes Feld, hat viele wichtige Erkenntnisse geliefert.


Die Gefahr der Psychologisierung

Doch es mehren sich die Stimmen, die vor einer Psychologisierung von Trauer warnen. Mit Psychologisierung ist eine einseitige und ungerechtfertigte Überbetonung des Innerpsychischen gemeint. Denn dies beinhaltet die Gefahr, dass der gesellschaftliche Einfluss auf Vorstellungen über Trauer im Allgemeinen und den Umgang mit Trauernden übergangen wird, obwohl dieser eine wichtige Rolle spielt.

Und vor allem besteht die Gefahr, dass die Psychologisierung von Trauer auch zu deren Pathologisierung führt. Es ist unbestritten, dass Verluste bei einigen Menschen besonders tiefe und lang anhaltende Leidenszustände hervorrufen können. Umstritten ist jedoch, unter welchen Bedingungen und ab wann hier von einer psychischen Erkrankung gesprochen werden sollte, die einer ärztlichen oder psychotherapeutischen Behandlung bedarf. Derzeit wird unter einflussreichen Psychologen und Psychiatern intensiv diskutiert, ob "komplizierte" oder "zu lange andauernde" Trauer als eigenes Krankheitsbild in den offiziellen Katalog psychischer Erkrankungen aufgenommen werden soll. Dies hätte den Vorteil, dass sich dadurch beispielsweise eine psychotherapeutische Behandlung finanziell absichern ließe und Forschungsgelder zum besseren Verständnis von komplizierter Trauer beantragt werden könnten.

Es gibt jedoch auch Experten, die davor warnen, bestimmte Ausprägungen von Trauer mit Krankheit gleichzusetzen. Zum einen, weil es sehr schwierig ist, eine Grenze zwischen "normaler" und "krankhafter" Trauer zu finden. Vor allem jedoch, weil die Gefahr besteht, dass sich daraus im öffentlichen Verständnis eine Pathologisierung jeglicher Art von Trauer entwickelt. Wenn sich ein öffentliches Bild von Trauer dahingehend verfestigt, dass Menschen psychisch krank sind, nur weil sie sich nach einem Verlust außergewöhnlich verhalten, dann kann dies den Betroffenen zusätzliche Probleme bereiten, die nichts mehr mit dem Verlust an sich zu tun haben.