Organspende und Verlustverarbeitung
Menschen können durch sichere äußere und innere Zeichen für tot erklärt werden. Ein sicheres äußeres Todeszeichen sind zum Beispiel die Totenstarre oder Totenflecke. Ein inneres sicheres Todeszeichen ist der Hirntod. Auch wenn ein hirntoter Mensch äußerlich eher einem schlafenden Menschen gleicht, ist er dennoch tot. Seine Herz- und Kreislauffunktionen werden nur künstlich aufrechterhalten.
Ist ein Mensch hirntot, kommt er unter Umständen als Organ- bzw. Gewebespender in Frage. Dann sind die Angehörigen nicht nur mit dem Tod der nahestehenden Bezugsperson konfrontiert, sondern auch mit der Anfrage, ob sie erlauben, dass dem Verstorbenen Organe oder Gewebe entnommen werden. Manchmal haben sich Menschen schon zu Lebzeiten für eine Organspende entschieden. Dann sind die Angehörigen mit der Information konfrontiert, dass dieser Wille umgesetzt wird. Viele Betroffene erleben diese Momente als äußerst schwer. Insbesondere die Entscheidung, ob Organe bzw. Gewebe gespendet werden sollen oder nicht, stellt für viele Angehörige eine große Herausforderung dar, denn sie müssen mit der Entscheidung für den Rest ihres Lebens zurechtkommen und sie auch im sozialen Umfeld vertreten.
Einige Hinterbliebene blicken positiv auf ihre Entscheidung zur Organ- bzw. Gewebespende zurück, weil sie ihr einen Sinn zuordnen: Der Tod ihres Angehörigen hat einer anderen Person zum Leben verholfen. Andere haben das Gefühl, dass die Person durch die Spende noch irgendwie am Leben sei. Dies kann positiv sein, aber auch zu Schwierigkeiten im Trauerprozess führen, wenn Hinterbliebene ihren Angehörigen in dem Organempfänger sehen. Dann kann der Gedanke als Abwehr verwendet werden, um den Verlust nicht anerkennen zu müssen. Andererseits sind auch viele Betroffene der Meinung, ihre Entscheidung zur Spende hat keinen Einfluss auf ihr Verlustempfinden. Sie sagen: "Mein Leiden bleibt das Gleiche."
Grundsätzlich sind viele Angehörige mit ihrer Entscheidung, egal ob für oder gegen eine Spende, auch langfristig zufrieden. Während des Entscheidungsprozesses und der Organentnahme ist es Angehörigen vor allem wichtig, dass sie von den Ärzten bzw. dem Pflegepersonal fortwährend informiert werden, sich unterstützt fühlen und die Möglichkeit erhalten, Abschied zu nehmen. Werden diese Belange übergangen, kann Angehörige das zusätzlich belasten.
Die Verlustverarbeitung bei Menschen, die sich für oder gegen eine Organ- bzw. Gewebespende entschieden haben, weisen insgesamt mehr Übereinstimmungen als Unterschiede auf. Das gilt auch für die Faktoren, die zu einem schwierigeren Trauerverlauf führen. Dennoch muss an dieser Stelle gesagt werden, dass es bis heute nur wenige Untersuchungen über den Zusammenhang von Organ- bzw. Gewebespende und der Verlustbewältigung bei den Angehörigen gibt und nach wie vor viele Fragen offen sind.