Das Duale Prozess-Modell der Bewältigung von Verlusterfahrungen (DPM)
Wie trauern Menschen?
Wenn ein Mensch eine für ihn wichtige Person durch den Tod verloren hat, ist oft zu hören, dass er nun Trauerarbeit leisten müsse, um den Verlust zu bewältigen. Trauerarbeit wird oft definiert als Konfrontation mit der Trauer in all ihren Aspekten (zum Beispiel den Umständen des Todes, den Erinnerungen an die Person etc.). Es gelte, die Realität immer wieder in das Gedächtnis zu bringen. Dies wird als positiv angesehen für die Bewältigung von Trauer während Vermeidung negativ bewertet wird. Aus wissenschaftlicher Sicht spricht einiges dafür, dass viele andere Aspekte der Trauer (zum Beispiel die Annahme einer neuen Rolle, Identität, Regelung finanzieller Angelegenheiten) bei dieser Art der Betrachtung zu kurz kommen.
Die Wissenschaftler Margaret Stroebe und Henk Schut haben das Duale Prozess-Modell (DPM) der Trauer entwickelt, das diese anderen Aspekte der Trauer integriert und sowohl die Konfrontation als auch das Unterdrücken/ Verdrängen als wichtig erachtet.
Trauer und Stress
In einem Trauerfall sehen Schut und Stroebe ein belastendes Lebensereignis, bzw. eine Stress- und Krisensituation (stressful-life-event). Das heißt, die Menschen verlieren durch den Verstorbenen Ressourcen (zum Beispiel Rückhalt, Sicherheit, Ansprache), die sie zur Lebensbewältigung benötigen. Die Defizite, die nun durch den Todesfall auftreten, verursachen Stress. Dabei teilt das DPM die Faktoren, die Stress auslösen (Stressoren), zwei Lagern zu. Stressoren, die mit dem Verlust zusammenhängen, und Stressoren, die damit zusammenhängen, dass Hinterbliebene im Alltag funktionieren und sich an die veränderten Lebensumstände anpassen müssen. Entsprechend dieser beiden Stressoren verläuft auch die Bewältigung der Trauer. Zum einen findet die Bewältigung von Trauer "verlustorientiert" statt: also in der direkten Auseinandersetzung mit zum Beispiel dem Verlust, den Umständen des Todes, der Beziehung zum Verstorben, den Erinnerungen, dem Betrachten von Bildern etc. Zum anderen findet die Bewältigung von Trauer "wiederherstellungsorientiert" statt, also in der direkten Auseinandersetzung mit zum Beispiel finanziellen Problemen, sozialer Einsamkeit, dem Unverständnis von Freunden aber auch mit dem Gewinn neuer Freiheiten, etc.
Trauer - ein dynamischer Prozess
Verlustorientierte und wiederherstellungsorientierte Bewältigung kann nicht zugleich betrieben werden. Daher muss eines von beidem jeweils zurückgestellt und vermieden werden. Die Betroffenen wechseln von einem Zustand zum anderen, sie entscheiden darüber, was für sie gerade gut oder was gerade notwendig ist. Trauern ist diesem Modell entsprechend ein dynamischer Prozess, in dem die Betroffenen zwischen beiden Bereichen pendeln. Innerhalb eines jeden Bereiches können die Betroffenen eine Vielzahl an Gefühlen erleben von sehr positiven (zum Beispiel weil sie eine neue Aufgabe erfolgreich gemeistert haben) bis hin zu sehr negativen Gefühlen.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Konfrontation mit dem Verlusterlebnis ein wichtiger Bestandteil der Trauerbewältigung ist, es kommt aber auf die richtige Dosierung an. Es ist für viele Betroffene wichtig, wenn sie sich bewusst Pausen von ihrer Trauer nehmen.
Das DPM in der Praxis
Für die Praxis der Trauerberatung/-begleitung oder in der Therapie ist dieses dieses Modell hilfreich, weil es sogenannte Traueraufgabenmodelle um ein vielfaches erweitert. So würde die vierte Aufgabe bei Worden nicht nur "Eine dauerhafte Verbindung zur verstorbenen Person inmitten des Aufbruchs in ein neues Leben finden" heißen, sondern erweitert lauten "Eine dauerhafte Verbindung zur verstorbenen Person inmitten des Aufbruchs in ein neues Leben finden ... und neue Rollen, Identitäten und Beziehungen aufnehmen". Daraus lassen sich viele interessante und hilfreiche Ansätze für die Beratung entwickeln. Weiterhin trägt ein solches Modell auch dazu bei, vorsichtig zu sein, wenn es um das Thema Verdrängung geht. Verdrängung heißt nicht automatisch, jemand macht weiter wie vorher. Es besteht immer auch die Möglichkeit, dass andere Dinge gerade wichtiger sind als die Konfrontation mit dem Verlust.