Zwischen Depression und Trauer: Deprimiertheit

Mut zur Trauer
Sei traurig, wenn du traurig bist,
und steh nicht stets vor deiner Seele Posten!
Den Kopf, der dir ans Herz gewachsen ist,
wird's schon nicht kosten.
(Erich Kästner)*

Wenn Depression das Gegenteil von Trauer und gleichzeitig doch normaler Bestandteil von Trauer sein soll, dann kann dieser Widerspruch möglicherweise dadurch erklärt werden, dass auf der einen Seite die Depression als psychische Erkrankung gemeint ist und auf der anderen Seite statt Depression besser von einer niedergeschlagenen, deprimierten Stimmung gesprochen werden sollte. Und eine solche niedergeschlagene Stimmung kommt sehr häufig vor:


Niedergeschlagenheit als Schutzmechanismus

Niedergeschlagenheit oder Deprimiertheit als Teil des normalen Stimmungsspektrums wird als unangenehm erlebt und man will sie vermutlich schnell wieder abschütteln. Dennoch kann man sie auch als hilfreiche und sinnvolle Reaktionen auf bestimmte Umstände ansehen:

Der Verlust an Tatendrang und Interesse wirkt wie ein unwillkürliches Bremsmanöver angesichts einer unkontrollierbaren Situation. Wenn beispielsweise ein Verlusterlebnis das bisherige Leben erschüttert, zwingen Niedergeschlagenheit und Traurigkeit dazu, sich eine Auszeit zu nehmen und die Aufmerksamkeit nach innen zu richten, anstatt in unfruchtbaren und möglicherweise schädlichen Aktionismus zu verfallen. Das erzwungene Innehalten hilft dabei, eigene Überzeugungen, Ziele und Pläne zu überdenken und an die veränderte Lebenssituation anzupassen. Traurigkeit fördert Resignation und Akzeptanz dessen, was nicht zu ändern ist. Hinzu kommt auch noch die wichtige zwischenmenschliche Funktion von Niedergeschlagenheit und Traurigkeit: Sie lösen – zumindest im Idealfall - im Gegenüber Hilfsbereitschaft und Mitgefühl aus.

Für Hinterbliebene ist also "Mut zur Trauer", Akzeptieren und Annehmen von unangenehmen Gefühle und leidvollen Stimmungen wichtig! Denn gerade in diesem Annehmen scheint ein wichtiger Schutz vor der Entwicklung einer Depression zu liegen.


Professioneller Rat bei zu langer Dauer

Dauert Niedergeschlagenheit jedoch zu lange an und werden die Beschwerden zu starr und zu intensiv, verlieren sie ihre sinnvolle Funktion und die Betroffenen sollten professionellen Rat suchen.

Besonders gefährdet für eine solche Entwicklung sind Menschen mit bestimmten Risikofaktoren. Hierzu zählen beispielsweise vorangegangene depressive oder andere psychische Erkrankungen, aktuelle psychosoziale Belastungen (insbesondere jene, die mit Demütigung, Ohnmacht oder Verlust verbunden sind), zurückliegende psychosoziale Belastungen, frühere Verluste oder Traumatisierungen, genetische Veranlagung und neurobiologische Faktoren, wie zum Beispiel Störungen im Neurotransmitter- und/oder Hormonhaushalt. Eine Schlüsselfunktion bei der Entstehung von Depression scheint jedoch in sehr vielen Fällen der Aktivierung einer sich ungünstig auswirkenden Bewältigungsstrategie zuzukommen: dem pessimistischen Grübeln. Menschen, die versuchen, mit Hilfe ständigen Grübelns gegen die Veränderungen in ihrem Leben und gegen unangenehme Empfindungen anzukämpfen, denen es schwerfällt, diese als unausweichlich und sinnvoll anzuerkennen, haben ein erhöhtes Depressionsrisiko.

* Aus Kästner, E. (1968). Doktor Erich Kästners Lyrische Hausapotheke. Berlin: Droemer Knaur, S. 16.