Totenruhe nach Ablauf der Ruhezeit in geringerem Maße schutzwürdig

Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts

Justitia-Statue mit verbundenen Augen und Waage in der Hand

Das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht in Schleswig hat in einem aktuellen Urteil klargestellt, dass die durch Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes als Bestandteil der Menschenwürde geschützte Totenruhe nach Ablauf der Ruhezeit einer Grabstätte nur noch in geringerem Umfang geschützt ist als zuvor. Zwar ist im Rahmen einer Abwägung bezüglich einer beantragten Umbettung der Zweck der Ruhezeit zu berücksichtigen. Dieser besteht darin, die sterblichen Überreste eines Verstorbenen möglichst in einer Grabstätte zu belassen, um auf diese Weise die durch Art. 1 Abs. 1 GG geschützte Menschenwürde postmortal zu gewährleisten und ein angemessenes Totengedenken am Grab zu ermöglichen. Dabei sei aber zu berücksichtigen, so das Gericht, dass der postmortale Würdeschutz im Laufe der Jahre abnimmt. Daraus zog das VG Schleswig-Holstein den Schluss, dass bei der Abwägung eines wichtigen Grundes für eine Umbettung mit dem Schutzzweck der Totenruhe, letzterer durch Zeitablauf an Bedeutung verliert. Die Totenruhe ist also nach Ablauf der Ruhezeit nur noch in geringem Maße schutzwürdig. Somit unterliegt ein Antrag auf Umbettung eines Verstorbenen nach Ablauf der Ruhezeit nicht den strengen Anforderungen wie vor Ablauf der Frist.

Die dem Urteil zugrunde liegende Klage hatte eine Witwe eingereicht, welche die Umbettung ihres verstorbenen Ehemannes beantragt hatte. Die sterblichen Überreste des Verstorbenen sollten aus der Grabstätte in einen Bestattungswald umgebettet werden. Denn die Klägerin wollte dort im Falle ihres Todes ebenfalls bestattet werden und hatte deshalb zwei Grabstellen in einem Familienbiotop erworben. Die Friedhofsverwaltung lehnte den Antrag mit dem Hinweis ab, dass eine Umbettung nur bei einem besonders wichtigen Grund möglich sei. Die durch Art. 1 Abs. 1 GG geschützte Totenruhe sei nicht auf die Dauer der Ruhefrist beschränkt. Eine Umbettung sei sowohl vor als auch nach Ablauf der Ruhezeit nur aus einem wichtigen Grund zulässig. Die sich aus Art. 1 Abs. 1 GG ergebende Verpflichtung für Staat und Verwaltung, Schutz gegen Angriffe auf die Menschenwürde zu gewähren, ende gerade nicht mit dem Tod und auch nicht nach Ablauf der Ruhezeit einer Grabstätte.

Das VG Schleswig-Holstein bestätigte der Friedhofsverwaltung zwar, dass gemäß den Vorschriften der Friedhofssatzung Umbettungen von Verstorbenen unbeschadet der sonstigen gesetzlichen Vorschriften der Zustimmung des Friedhofsträgers bedürfen. Richtig sei auch, dass die Zustimmung des Friedhofträgers zur Umbettung nur dann erteilt werden darf, wenn ein wichtiger Grund vorliegt, der dem aus Art. 1 GG abzuleitenden Schutz der Totenruhe vorgeht. Denn die unantastbare Würde des Menschen wirkt über dessen Tod hinaus und gebietet eine würdige Bestattung und den Schutz der Totenruhe. Deshalb ist für eine Umbettung auch nach Ablauf der Ruhezeit grundsätzlich das Vorliegen eines wichtigen Grundes erforderlich. Die Klägerin habe aber einen Anspruch auf Zustimmung der Friedhofsverwaltung zu der Umbettung nach Ablauf der Ruhezeit im Jahre 2026, weil der postmortale Würdeschutz in Laufe der Jahre abnimmt – und die Ruhefrist dann endet. Die von der Witwe angestrebte gemeinsame Bestattung in einer Grabstätte sei zudem ein durch Art. 6 Abs. 1 GG (Schutz der Familie) geschütztes Anliegen, welches den hier durch Zeitablauf geschwächten Schutz der Totenruhe überwiege.

Quelle: VG Schleswig-Holstein, Urteil v. 30.01.2024, Az. 6 A 163/21